10.10.2018

Umnutzung erweckt urbane Architektur zu neuem Leben

Gebäude verlieren oft ihren ursprünglichen Zweck – nicht aber ihre Nutzbarkeit. Die architektonische Umnutzung vereint das Beste aus Altem und Neuem.

Bei der Modernisierung eines alten Gebäudes wird oft zwangsläufig angenommen, dass es sich dabei um eine historische Restaurierung handelt. Doch häufig werden ältere Bauwerke sowohl modernisiert als auch für einen völlig neuen Verwendungszweck – oder gleich mehrere – umfunktioniert. In diesem Fall spricht man nicht von Restaurierung, sondern von Umnutzung. Umnutzung ermöglicht die effektivere Nutzung des urbanen Raums durch Menschen und Unternehmen und gleichzeitig den Erhalt des vorhandenen baulichen Charakters. Wenn dessen vollständige Erhaltung nicht vonnöten ist, bietet die Umnutzung eine attraktive und profitable Möglichkeit, das Alte mit dem Neuen zu kombinieren.

Umnutzung und historische Restaurierung im Vergleich

Da sich ältere Industriezweige aus den Städten zurückziehen, müssen die Gebäude, Strukturen und Leerstände, die sie zurücklassen, einem neuen Zweck zugeführt werden. Stadtentwickler sind oft versucht, alles abzureißen und neu aufzubauen. Doch die Umwidmung vorhandener Bausubstanz ist oft billiger und effektiver als deren Zerstörung.

Originalgetreue historische Restaurierung ist kostspielig und nur in seltenen Fällen die beste Wahl, wie beispielsweise bei Kirchen. Bei vielen sogenannten Restaurierungsprojekten – wie bei Häusern historischer Persönlichkeiten – verschwimmt die Grenze zwischen Restaurierung und Umnutzung, wenn sie zu Museen oder Touristenattraktionen umfunktioniert werden.

Umgenutzte Gebäude können – müssen aber nicht – stilgerecht restauriert werden. Sie kombinieren jedenfalls immer moderne und historische Elemente. Architekten können den Zweck eines Bauwerks völlig neu definieren, ausgedienten Anlagen neues Leben einhauchen und sie wieder in das vitale städtebauliche Gefüge einbinden. Durch die Verwertung innerstädtischer Leerstände kann Umnutzung sogar Zersiedelung eindämmen.

Warum wir alte Gebäude und Infrastruktur umfunktionieren und wiederverwenden

Bauliche Diversität verschönert das Stadtbild und macht den urbanen Raum lebenswerter. Zweifellos können moderne Gebäude einzigartig und außerordentlich beeindruckend sein. Umnutzung dagegen folgt einer anderen Strategie, die einerseits die urbane Geschlossenheit und Kontinuität bewahrt und andererseits das Bild eintöniger Hochhäuser und Bürotürme vermeidet. Durch Umnutzung wird der historische Charakter einer Stadt bewahrt, während gleichzeitig mit Blick auf die Zukunft geplant wird.

Historische Gebäude verfügen oftmals über wunderschöne Details, die an modernen Gebäuden unerschwinglich teuer wären. Fassaden mit Elementen aus gemeißeltem Stein, Gewölbedecken und Wandgemälde sind in alten Gebäuden wesentlich häufiger anzutreffen. Sogar antiquierte Industriemaschinen können in einem modernisierten Gebäude als dekorativer Blickfang dienen.

Der Einkaufs- und Unterhaltungskomplex CHIJMES in Singapur erinnert noch an die Schönheit und das architektonische Erbe eines alten katholischen Nonnenklosters. Gleichzeitig stellt es Bewohnern und Touristen einen modernen öffentlichen Raum zur Verfügung. Doch Umnutzung betrifft nicht nur Gebäude, sondern auch die Infrastruktur. So beherbergt der Jaegersborg-Wasserturm in Kopenhagen beispielsweise inzwischen Studentenwohnungen.

Jaegersborg Water Tower now holds students instead of water
CHIJMES Hall was formerly the convent chapel
The Tate Modern (London) was once a power station

Nichts Neues: unsere Geschichte

Umnutzung ist nichts Neues. Sie wird schon seit Jahrhunderten praktiziert. Wenn in früheren Zeiten ein Machtwechsel oder eine Änderung der Landesreligion stattfand, mussten auch viele Gebäude umfunktioniert werden.

Beispielsweise waren zahlreiche katholische Kirchen im Süden Spaniens und Italiens ursprünglich Moscheen. Wie zahlreiche andere noch vorhandene antike römische Gebäude wurde auch das Pantheon in Rom im Jahr 609 in eine katholische Kirche umgewandelt und somit vor der Zerstörung gerettet.

Ein weiteres antikes Beispiel ist die Hagia Sophia, das wohl bekannteste Gebäude Istanbuls. Ursprünglich im Jahr 532 als griechisch-orthodoxe Basilika errichtet, wurde sie 1453 in eine Moschee umfunktioniert und 1935 in ein Museum umgewandelt. Auch die zwei berühmtesten Pariser Museen sind so entstanden: der Louvre wurde im 12. Jahrhundert als Palast errichtet, und das Musée D’Orsay diente einst als Bahnhof für die Weltausstellung 1900.

Musée D’Orsay – from railway station to museum

Besser für das Budget

Selbst wenn Immobilienentwickler nicht unmittelbar am Erhalt des architektonischen Erbes interessiert sind, entscheiden sie sich dennoch oft für die Umnutzung, da diese normalerweise billiger ist als ein Umbau. Durch Umnutzung kann außerdem aus einer verlustreichen Immobilie eine profitable werden. Das war auch der Fall, als die obersten 30 Stockwerke des Woolworth Buildings in New York in Wohnungen konvertiert wurden. Tatsächlich ist eines der besten Argumente für die Umnutzung, dass damit der kostspielige und verschwenderische Prozess des Abrisses und Neubaus vermieden wird.

Ferner spricht für die Umnutzung, dass das Fundament nicht neu errichtet werden muss und womöglich auch sämtliche Rohbauarbeiten wegfallen. In vielen Fällen sind auch intakte Versorgungsleitungen vorhanden und die Erfordernisse bei Baugenehmigungen sind geringer. Umnutzung wird manchmal sogar durch öffentliche Fördermittel oder Steuererleichterungen unterstützt.

Bestandsgebäude mit energieeffizienten Lösungen ausstatten

Wir sind davon überzeugt, dass die städtische Umwelt der nachhaltigste, umweltfreundlichste Lebensraum für den Menschen ist. Doch Städte sind übersäht von alten Gebäuden, die nicht umweltfreundlich sind. Neben nachhaltiger Sanierung bietet die Nutzungsänderung auch eine hervorragende Chance, ein älteres Bauwerk effizienter zu gestalten – und sogar zu einem Netto-Nullenergiegebäude zu machen.

Das Fraunhofer USA Center for Sustainable Energy Systems ist in einem umgewidmeten, 100 Jahre alten Gebäude in Boston untergebracht. Fraunhofer hat das Gebäude gemeinsam mit Partnern saniert und auf diese Weise nachhaltige Energieeinsparungen erzielt, während der historische Charakter erhalten blieb.

Einer dieser Partner war TK Elevator. Wir haben einen Netto-Nullenergie-Aufzug eingebaut, der eigentlich als Netto-Plusenergie-Aufzug bezeichnet werden kann, da er mehr Energie erzeugt als er verbraucht. Dieses fortschrittliche Sanierungsprojekt von Fraunhofer ist heute eine Art von „Wohnlabor“, bei dem deutlich wird, wie nachhaltige Lösungen nachträglich in ältere Gebäude integriert werden können.

Schaffung von Einzigartigem

Ob der Meatpacking District in New York und Philadelphia in eine Wohngegend konvertiert wird oder sich Industriegebäude in Parks oder Museen verwandeln – viele überzeugende Argumente sprechen für die Umnutzung.

Für Stadtentwickler ist Umnutzung ein Kompromiss zwischen finanziellen Aspekten, Nachhaltigkeit und Corporate Social Responsibility. Die Verfahren rund um die Gewährleistung moderner Effizienz- und Sicherheitsstandards für alte Gebäude erfordern zwar oft spezielle Planungsarbeiten und Nachrüstungen. Im Gegenzug können jedoch die Kosten eines kompletten Abrisses eingespart werden. Die Umnutzung wird somit zu einer wirtschaftlich umsetzbaren, Mehrwert schaffenden Alternative, mit der urbaner Architektur neues Leben einhaucht werden kann.

Fraunhofer’s Living Lab: Historic, modern and sustainable
From highway to “Purple People Bridge” in Cincinnati (USA)
Sala São Paulo (Brazil), a concert hall in a train station

Image Credits
CHIJMES Hall, taken from flickr.com; image credits go to sgtoycon2008
The Tate Modern, taken from flickr.com; image credits go to Lee Davison
Jaegersborg Water Tower, taken from flickr.com; image credits go to seier+seier
Musee d’Orsay, taken from flickr.com; image credits go to (CMC)™
sala são paulo, taken from  flickr.com; image credits go to Pablo Galvão
Purple people Bridge, taken from  flickr.com; image credits go to Jeremy
Fraunhofer CSE, Boston, MA, USA, credits go to Fraunhofer CSE